Rückschau:

Hineinsingen in das Geheimnis von Weihnachten: Die O-Antiphonen.

Im Advent haben die letzten sieben Tage vor dem Weihnachtsfest einen besonderen Charakter. Die Mönche singen sich ab dem 17. Dezember mit den sogenannten O-Antiphonen in das Geheimnis der Geburt Christi hinein. Am Ende jeder Vesper zum Magnificat singt der Mönchschor diese jahrhundertealten Antiphonen.

O-Antiphonen im Überblick
Im Advent haben die letzten sieben Tage vor dem Weihnachtsfest einen besonderen Charakter. Die Mönche singen sich ab dem 17. Dezember mit den sogenannten O-Antiphonen in das Geheimnis der Geburt Christi hinein. Am Ende jeder Vesper zum Magnificat singt der Mönchschor diese jahrhundertealten Antiphonen.
Der Name O-Antiphon kommt von dem ausgeprägten O-Vokal zu Beginn jeder dieser sieben Antiphonen. O Weisheit, O Adonai, O Spross aus Isais Wurzel, O Schlüssel Davids, O Morgenstern, O König aller Völker, O Immanuel – mit diesen Namen rufen sie das Kommen Gottes herbei.
Das ist Ausdruck der Sehnsucht nach der Ankunft Christi in unseren Herzen.

O-Antiphon vom 17. Dezember O SAPIENTA / O WEISHEIT
Die Antiphon besteht aus mehreren Teilen.
Jesus Sirach 24,3: „Ich bin hervorgegangen aus des höchsten Mund“.
Weisheit Salomons 8, 1: „Von einem Ende zum anderen erstreckt sie sich in Kraft. Das All umwaltet sie aufs beste.“
Die Bitte ist formuliert nach Psalm 25,4: „Belehre mich, Herr, über deine Wege“ verflochten mit Sprichwörter 9,6: „Schlagt den Weg der Klugheit ein.“ Im Gesamtductus entspricht die Antiphon dem Gebet Salomos um Weisheit (1 Kön 8)

Zum Verständnis des Textes
Die Weisheitsbücher (um 200 v. Chr) sehen in der Weisheit eine personifizierte Eigenschaft Gottes und schildern sie in poetischen Bildern. Die Weisheit wird von den Theologen und Betern mit dem Logos – Christus gleichgesetzt.
Die Weisheit ist das schneidende Schwert aus Gottes Mund, sie ist unbequem, sie trennt Mark und Bein (Hebr 4, 12; Mal 3, 2), sie fordert heraus in letzter Konsequenz und Selbstaufgabe. Die Weisheit ist allumfassend, voll Kraft und Tat.
Die Weisheit ist nicht geräuschvoller Aktivismus, sondern sie durchwaltet alles in milder, menschenfreundlicher Güte und Zartheit. Das Christusbild schlägt um in seine zarten innigen Farben. Die besondere Bitte, die dem Veni angehängt wird, heißt: „Offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht.“

O-Antiphon vom 18. Dezember O ADONAI
Titel Adonai in Jes 1, 24 kommt von Adon = Kyrios = Herr = Kaiser. Endsilbe ai = mein. Also: mein Herr.
Das Wort Führer – dux des Hauses Israel ist uns geläufig aus Matth 2, 6: „Bethlehem… aus dir wird hervorgehen der Fürst, der mein Volk Israel regieren soll.“
Die Erinnerung an den brennenden Dornbusch (Ex 3) beschwört die Initialvision der Herausführung aus der ägyptischen Knechtschaft, die Herzmitte der alttestamentlichen Offenbarung. Verknüpfung mit der Gesetzgebung auf dem Berg Sinai.
Ruf: „O komm und befreie uns mit deinem starken Arme“ ist ein Bild, das dem antiken Kampfzeremoniell entnommen ist. Der ausgestreckte Arm trägt Speer und Schwert, um loszuschlagen. Der christliche Beter muss auch an die ausgestreckten Arme des gekreuzigten Erlösers denken.
Mit äußerst kühner Konsequenz wir Christus angeredet als der, der im brennenden Dornbusch erschien. Die Kühnheit ist berechtigt, da das Johannesevangelium gilt: „Ich und der Vater sind eins!“ Aber der Dichter der Antiphon dachte wohl auch an die drei Jünglinge im Feuerofen, Vorbilder des Ostergeheimnisses: im brennenden Dornbusch seiner Passion wird die göttliche Herrlichkeit Christi offenbar.
Die Antiphon des hohen Advents wird zur Osterantiphon. Im Adventsdunkel erscheint das Osterbild des gekreuzigten und auferstandenen Herrn wie eine Vision dessen, der einstmals kam, und dessen, der kommen wird.

O-Antiphon vom 19. Dezember O RADIX JESSE
Anrede aus Jes 11,1: „Ein Reis wird hervorgehen aus der Wurzel Jesse!“ (weihnachtlich) „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart.“
„Vor dir verstummen die Herrscher“ aus Jes 52,25: will also die königliche Oberhoheit des Gottesknechtes über die Herrscher rühmen.
Die Bitte um Freiheit wird stürmisch, ungeduldig: Zögere nicht länger! Es ist die Ungeduld des Bittenden, die Sehnsucht des Liebenden, nicht die Hast und Hektik der Leidenschaft. Es ist nicht die Ungeduld des Wartenden, sondern im Sinne des Hebräerbriefes, die Ungeduld des Wissenden, dass nur noch eine kleine Weile zu überstehen ist (Hebr 10, 37)

O-Antiphon vom 20. Dezember O CLAVIS DAVID
Geschichtliche Zusammenhänge:
Im Jahre 735 schickte der aus Griechenland stammende Papst Gregor III. an Karl Martell einen goldenen Schlüssel zur Confessio des heiligen Petrus in Rom. Er gab ihm damit die Macht über die Mitte Roms und lud ihn zum Kommen ein. Ein Vorspiel der Krönung Karls des Großen zu Weihnachten 800.
Alkuin hat diese O-Antiphon besonders geliebt. Vielleicht dachte er an dieses Ereignis seiner Jugend (geb. 730). Vielleicht fand er darin seine Impulse, die Krönung Karls des Großen zu betreiben.
Schlüsseltext: Jes 22,22: „Ihm lege ich das Amtskleid an… Ich, gebe ich des Davidshauses Schlüssel! Er öffnet, niemand schließt. Er schließt und niemand öffnet.“
Dieses Prophetenwort wird auf Christus angewendet in Offb 3, 7 „So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, und niemand schließt, der schließt, und niemand öffnet. Ich kenne deine Werke, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand schließen kann.“ Schlüsselträger ist also Christus.
Das Prophetenwort wird von Christus in Matth 16,19 paraphrasiert und auf Petrus gemünzt: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst… „
Es geht um die Schlüsselgewalt im Gottesreich des Neuen und Alten Bundes.
Diese Aussage wird verstärkt von dem Wort „Zepter des Hauses Israel“. Gen 49,10: „Das Zepter wird von Judas nicht weichen“. Zepter ist das Zeichen der Macht.
In der Bitte wendet sich der Komm-Ruf von der Herrlichkeit des Königs ab und zeigt auf die Verlassenheit der Gefangenen. Matth 18, 18: Die Schlüsselgewalt dient zur Befreiung des Sünders, der im Kerker seiner Schuld sitzt. Dieser Kerker ist die geistige Gefangenschaft in Finsternis und Todesschatten.
„O clavis“ ist ein Ruf zur Versöhnung.

O-Antiphon vom 21. Dezember O ORIENS
Die Loblitanei ist verschiedener Provenienz. „Oriens“ stammt aus Sacharja 3,8: Dem Hohenpriester der Zeit der Umkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft ruft der Prophet zu: „Seht, ich führe meinen Knecht den Aufgang herauf!“ Kann „Aufgang“ hier auch die Bedeutung von „Spross“ oder „Abkömmling“ haben, so ist im Lied des ntl. Zacharias die Bedeutung von „Sonnenaufgang“ klar. „Lichtglanz“ stammt aus Hebr 1,3. Sonne der Gerechtigkeit ein Zitat aus Malachia 3,20.
„Komm und erleuchte“ aus: Lk 1,79 „… das Licht aus der Höhe, um denen aufzuleuchten, die im Finstern und Todesschatten sitzen“, Jes 9,2: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“.
Man kann der Antiphon „Oriens“ den Namen geben „Morgenlied“, dabei ist vor allem an den adventlichen und weihnachtlichen Sonnenaufgang gedacht, der den Morgen Christi herbeiführt. Dabei wird das zentrale Thema angeschnitten, das in die Weihnacht gehört: Christus, unser Licht. Johannes spricht davon in seinem Prolog zum Evangelium: „Das Licht leuchtet in der Finsternis“.

O-Antiphon vom 22. Dezember O REX GENTIUM
Vergleichbare Schriftzitate: Sacharja 9,9: „Siehe, dein König kommt“ / Haggai 2,8: „Von allen Ersehnter“.
Das gleiche Thema klingt schon in Genesis 49,10 im Jakobssegen auf: „Kommen wird der Herzog, der Ersehnte der Völker.“
Den Kontrapunkt gibt Lukas 22,15: „Mit Sehnsucht habe ich danach verlangt, mit euch das Ostermahl zu halten“ – Der Ersehnte sehnt sich nach uns. Offb „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an“.
Eine ähnliche Kontrapunktik liegt im Ruf: „Du Eckstein, der das Getrennte eint!“ Ps 118: „Der Stein, den die Erbauer verwarfen, er ist zum Eckstein geworden.“
Der Komm-Ruf eröffnet die Bitte: „Errette den Menschen, den du aus Erde gebildet!“
Hier denkt der Dichter an Genesis 2,7; aber auch an Daniel 2: Der Mensch, ebenso die Füße der Statue, die der König Nebukadnezar sah, sind aus Lehm und Töpferton, sie werden zermalmt von der strafenden Gerechtigkeit, aber Christus kann retten und heilen.
Was im Raum des römischen Vielvölker-Imperiums als politische Erwartung an den „Rex gentium“ Christus mitgedacht wurde, wird in der Antiphon noch auf eine andere Menschheitsspaltung bezogen: Eph 2,14: In der Sicht des Eph-Briefes ist die eigentliche Spaltung der Menschheit der Riss zwischen Juden und Heiden, dem erwählten Gottesvolk und den im gottlosen Götzendienst herumtreibenden Völkern. Eben diese Trennung hat Christus abgebrochen und so die Heiden mit den Juden in dem einen Bürgerrecht und Gottesdienst vereint. Bezogen auf die heilsgeschichtliche Urspaltung der Menschheit ist das Kommen Christi ein Akt der Neuschöpfung des Menschen, die Heilung des aus Lehm geformten, tönernen zersprungenen Menschheitsleibes.

O-Antiphon vom 23. Dezember O IMMANUEL
Von allen O-Antiphonen ist „O Immanuel“ die berühmteste, im Text übersichtlichste, insgesamt einfachste und doch wichtigste. Man möchte sie die typischste nennen.
Titel Immanuel aus Jes 7,14: „Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und ihn Immanuel nennen – Gott mit uns!“
Matth 1,23 übernimmt den Titel in der Botschaft des Engels an den zweifelnden Josef: „Dies ist geschehen, damit erfüllt werde, was von dem Herrn durch die Propheten gesprochen war, der sagt“ – Folgt wörtliches Immanuelzitat aus Jesaja.
Sachlich wird der Name Immanuel verwendet im paulinischen Hohenlied der Liebe (Röm 8,31): „Wenn aber Gott mit uns ist, wer ist dann wider uns?“
Die Worte „Salvator – Erlöser“ und „Erlöse uns“ stammen aus Jes 45,8: „Es öffne sich die Erde und sprosse den Heiland (Erlöser) hervor!“
Matth 18, 11: „Der Menschensohn kommt, um zu erlösen, was verloren war“ Titus: „Erschienen ist die Menschenfreundlichkeit unseres Erlösers und Gottes.“
Der Schluss des Bittrufes „Herr, unser Gott“ gleicht wieder dem Thomasbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“

Zusammenfassung
Das Nennen der Namen gehört in eine frühe Schicht der individuellen Sprachentwicklung des Menschen. Seine erste Intention ist, dass der als Individuum Angerufene da sein soll. Es ist ein Ruf nach Anwesenheit, Nähe und hilfreicher Präsenz.
Eben dieser ontogenetisch frühe Stand des Namens im Vokativ, im Anredefall also, bestimmt die grammatische Grundstruktur der sieben „Antiphonae maiores“ des Advents, die als Magnifikat-Antiphonen für die Vespern der letzten Woche vor Weihnachten (17. – 23. Dez.) vorgesehen sind.
Jede dieser Antiphonen beginnt mit einem Namen, der durch ein empathisches „O“ zum unüberhörbaren Vokativ erhoben ist, und gipfelt in dem deprekativen Ruf: „Veni“, „O komm!“ Das ist der elementare Ruf des Advent, in der offiziellen römischen Liturgie wie im volkssprachlichen Kirchenlied („O komm, O komm, Emmanuel“, „O Heiland, reiß die Himmel auf“)
Die dem Nomina beigebene Interjektion „O“ verleiht dem Rufgestus ein Moment der flehentlichen Sehnsucht, des eindringlichen Verlangens.

Die Antiphonen flehen rein um die Ankunft, das Erscheinen, die Gegenwart des Angerufenen. Bei den O-Antiphonen handelt es sich um liturgische Formulare, die jedwedes akut spontane Rufen aufgenommen und geradezu beruhigt haben in die Gemessenheit eines wohlgeformten Textes. Wer solch einen Text formuliert und tradiert, verlangsamt und vertieft die ausgesprochene Sehnsucht, statt sie ungeduldig hochzujagen. Diese Vertiefung erfolgt in der eine ganze Woche durchlaufenden Variation der Namen und der ihnen korrespondierenden Bitten.

Text: Pater Dominikus Trautner, Abtei Münsterschwarzach
Fotografiert wurden die die O-Antiphonen aus unserem Antiphonale 3 von Br. Lukas.


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